Zum 500. Todestag von Wilhelm Nesen († 6.7.1524), der in Nastätten geboren wurde

Hobbyhistoriker: Pfarrer Dr. Jeffrey Myers

Wilhelm Nesen (1492 – 1524)

Mitten wir im Leben sind: Vor 500 Jahren verstarb Wilhelm Nesen, Gründungsrektor der ersten Lateinschule, aus der sich später das Frankfurter Gymnasium entwickelte. Der Pädagoge und Anhänger Luthers ertrank mit nur 32 Jahren.

Der deutsche Humanist und Pädagoge Wilhelm Nesen wurde 1492 in Nastätten im Taunus geboren und erwarb die Magisterwürde in Löwen. Von dort ging er nach Basel, wo er zum Kreis um Erasmus von Rotterdam und Ulrich Zwingli gehörte. Wie viele Humanisten seiner Zeit, wechselte er häufig den Aufenthaltsort.

Kurz vor Weihnachten, am 23. Dezember 1519 beschloss der Rat der Stadt Frankfurt, „daß man nach einem redlichen, gelehrten und von mores geschickten Gesellen trachten solle, der die jungen Kinder in der Lehre an-halte“, und beauftragte daraufhin den Patrizier und Staatsmann Philipp Fürstenberger entsprechende Verhandlungen aufzunehmen. Durch Vermittlung von Erasmus wurde Wilhelm Nesen als Gründungsrektor der ersten Lateinschule Frankfurts berufen. Im darauffolgenden Jahr (1520) wurde die Lateinschule offiziell gegründet.

In der Bestallungsurkunde des Rates wird Nesen als „Poet und Erfarner in lateinischer und griechischer Sprach“ bezeichnet. Er verpflichtete sich dabei auf die Dauer von drei Jahren, „ihre und gemeiner Bürgerschaft Kinder„ Latein zu lehren und alle Tage eine Stunde für „ehrbare Hörer“ öffentlich zu lesen.

Zum Haus Goldstein („Langer Franz“)

Die neue Lateinschule war zunächst im Haus Goldstein, das der Familie Hamman von Holzhausen gehörte, untergebracht. Das Haus befand sich an der Ecke Buchgasse / Paulsgasse (heute: Bethmannstraße); Ende des 19. Jahrhunderts wurde es zugunsten des historistischen Rathausneubaus abgerissen. Eine verwitterte Inschrift an der Außenfassade des Turms des Langen Franz erinnert noch heute an das Haus und somit an die erste Lateinschule.

Als neuer Rektor wurde Nesen auch zum intellektuellen Kopf der Anhänger Martin Luthers in Frankfurt. Seine Auseinandersetzung mit seinem unterlegenen Konkurrenten, dem radikalen Luther-Gegner und Dekan des Liebfrauenstifts Johann Cochläus, war einer der ersten Schritte zur Einführung der Reformation in Frankfurt.

Während seiner historischen Reise nach Worms 1521 besichtigte Martin Luther selbst die neugegründete Latein-schule. Dort soll er die Schüler Christoph von Stalburg und Hieronymus von Glauburg gesegnet haben, wodurch er sich zwei weitere entschiedene Anhänger in Frankfurt sicherte. Ein Jahr später setzte sich Nesen zusammen mit anderen Humanisten dafür ein, dass zu Beginn der Passionszeit 1522 die erste evangelische Predigt in der Main-stadt gehalten wird.

Seitdem Martin Luther auf seiner Reise zum Reichstag nach Worms zweimal in Frankfurt übernachtet hatte, stand Nesen in regelmäßigem Kontakt mit ihm. Luthers Streitschrift vom Februar 1523 adversus armatum virum Cocleum gegen Johannes Cochläus ist Nesen gewidmet.

Unfalltod und Luther-Lied

Im April 1523 ging Nesen nach Wittenberg, um sich dort der Reformation ganz widmen zu können. Gleichzeitig hielt er an der dortigen Universität Vorlesungen über klassische Autoren und Geographie.

Am 6. Juli 1524 ertrank Wilhelm Nesen mit nur 32 Jahren bei einem Unfall in der Elbe nahe Wittenberg. Es gab Spekulationen, dass seinem Überbordgehen bei einer Fahrt mit einem Schiff auf der Elbe von Gegnern Martin Luthers etwas nachgeholfen wurde. Seine Nachfahrin Erika Opelt-Stoevesandt vertrat die Auffassung, dass es sich um ein Attentat gehandelt hat, zumal die Brüder Nesen zum engeren Freundeskreis Luthers gehörten und an der Veröffentlichung der 95 Thesen beteiligt waren.

Die Nachricht vom Unfalltod Nesens hat Martin Luther tief erschüttert. Wenn er Tote auferwecken könne, sagte er, würde Nesen der erste sein. Kurz darauf dichtete Luther das Lied „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen“ (EG 518). Darin beklagt er, wie schrecklich der Tod ist. Aber das letzte Wort im Lied wie im Leben heißt Trost. Der Reformator nimmt Angst und Tod ernst. Und dennoch lässt er die Auferstehungshoffnung anklingen.

Mit dem Wasser aus einem Taufbecken in Nastätten im Taunus begann das Leben des Wilhelm Nesen (*1492 in Nastätten). Im Wasser der Elbe vor den Toren Wittenbergs endete es viel zu früh († 6. Juli 1524 in Wittenberg).

Nicht nur die Nesenstraße in Frankfurt-Nordend und die Wilhelm-Nesen-Straße in Nastätten, sondern auch und vor allem die Gymnasien in Frankfurt sowie die allgemeine Wertschätzung von Bildung erinnern noch heute an den mutigen Reformator und Pädagogen Wilhelm Nesen.

Die Lateinschule zieht um

Im Jahr 1529 siedelte die Schule in das aufgelassene Barfüßerkloster (heute: Paulskirche) über und erhielt in der Folgezeit den Namen Gymnasium Francofortanum. Dort waren die Schüler und Lehrer auch für den Chorgesang an der evangelischen Hauptkirche in Frankfurt zuständig.

Drei Jahrhunderte lang (bis 1838) hatte das Gymnasium seinen Sitz im ehemaligen Barfüßerkloster.

Bis ins 19. Jahrhundert nannten die Frankfurter Bürger das Gymnasium nur „die Klasse“; die Gymnasiasten sollen sich selbst „Klässer“ genannt bzw. in Frankfurter Mundart gesagt haben, „sie gingen uff die Klaß’“.

Unter dem Direktor Tycho Mommsen entwickelte sich das Frankfurter Gymnasium im 19. Jahrhundert zu einer angesehenen Gelehrtenschule. Um das neue Domizil in der Junghofstraße zu entlasten, wurde 1888 das Kaiser-Friedrich-Gymnasium (das heutige Heinrich-von-Gagern-Gymnasium) gegründet. Wenige Jahre später erfolgte die Teilung des städtischen Gymnasiums in das Goethe-Gymnasium, das das Frankfurter Reformmodell (einer neu-sprachlichen Reformschule) einführte, und das Lessing-Gymnasium, das die humanistische Tradition fortsetzte.

Humanismus und Bildung

Nicht von ungefähr steht noch heute ein Denkmal für den Reformator Philipp Melanchthon vor dem Lessing-Gymnasium. Melanchthon, der Wilhelm Nesen in Wittenberg kennenlernte, wurde für die weitere Entwicklung der ersten Lateinschule in Frankfurt prägend.

Zusammen mit anderen Reformatoren war „der Lehrer Deutschlands“ unermüdlich an zahlreichen Schulgrün-dungen und der Umstrukturierung von bestehenden gemäß den humanistisch-reformatorischen Grundsätzen beteiligt. Diese beiden Pole – Humanismus und Reformation – beeinflussten sehr stark die Entwicklung der Frühen Neuzeit aus dem Mittelalter heraus. Die Alphabetisierung der gesamten Bevölkerung – Mädchen wie Jungen – wurde zum neuen Bildungsideal. Die Reformation sorgte so für einen gewaltigen Bildungsschub. Und über jenen Bildungsweg fasste die Reformation in Frankfurt Fuß.

„Bildung für alle“ – so könnte man den Anspruch von Philipp Melanchthon zusammenfassen. Bildung, insbeson-dere Lesen und Schreiben, soll nicht mehr Privileg des geistlichen Standes sein, also abhängig von ständischer Herkunft, sondern für alle zugänglich. Dabei soll es aber nicht um reine Wissensbildung gehen, sondern um die Bildung einer Persönlichkeit, die ihren Glauben und ihr Handeln selbst verantwortet. Die Bereitschaft, sich politisch zu engagieren, ehrenamtlich tätig zu sein, Verantwortung für die Gemeinschaft wie für die Gesellschaft zu über-nehmen, all das hängt von der Bildung der Menschen ab.

Philipp Melanchthon und Martin Luther wollten gerade Kindern aus weniger gut gestellten Elternhäusern den Zugang zu Bildung eröffnen. So setzten sich die beiden Reformatoren für Bildungsgerechtigkeit und Bildungs-teilhabe ein. Und heute? Auch heute noch gilt es, Bildung für alle, Chancengerechtigkeit, Bildungsinhalte und die Bedeutung der Bildung für das Gemeinwohl zu verwirklichen.