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Die Juden in Nastätten

Verfasser: Wilhelm Werner

In einem alten Schriftstück (Dr. Uflacker 750 Jahre Geschichte der evangelischen Kirche in Nastätten) um 1790 ist von 13 Juden die Rede- „so schlachten und allerhand Handel treiben“

Ihre Rechte waren beschränkt. Sie waren auf die Handelsgeschäfte beschränkt. Dazu gehörte auch der Geldwechsel. Ein Handwerk zu erlernen, zu studieren oder die Staatsbürgerschaft des Landes zu erwerben war unmöglich. Möglicherweise war die in ganz Deutschland vorgeschriebene Kleidung zu dieser Zeit nicht mehr aktuell. Napoleon hatte in dem von ihm besetzten Teil Deutschlands, sowie in Frankreich größere Freiheiten gestattet. Sie wurden nach 1815 von den Fürsten wieder rückgängig gemacht und erst nach der Revolution von 1848 traten allmählich Änderungen ein. Der Grunderwerb wurde genehmigt, auf Antrag die Staatsbürgerschaft verliehen. Allerdings blieb der Eintritt in den Staatsdienst und des Militär teilweise bis nach 1918 verwehrt. Bezüglich des Handels erließ die Regierung des Herzogtums Nassau ein Gesetz, das vor dem Schultheiß oder Bürgermeister ein Protokoll bei einem Viehverkauf von einem Jüdischen Händler und einem christlichen Käufer angefertigt werden musste. So auch bei einem Tauschhandel. Hierin war die Lieferung der fehlerfreien Ware, deren Zurücknahme bei Beanstandungen durch den Verkäufer, die Zahlung, Verzinsung bei Ratenzahlung ect. Schriftlich niedergelegt und von allen Teilen unterschrieben. Herr Scherer hat dies auch in seiner Oelsberger Chronik ausführlich beschrieben.

Ende 1869 wurde diese Vorschrift nicht mehr angewandt, da auch in Preußen die staatsbürgerlichen Einschränkungen fielen. Die Juden nannten sich im Deutschen Reich „Deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens“. Leider führte diese Freiheit besonders in ländlichen Gebieten zur Verschuldung der Bevölkerung bei den jüdischen Geldverleihern mit dem unkontrollierten Zinsgebaren. Dies führte in den 60 Jahren zur Gründung der von Raiffeisen ins Leben gerufenen Spar- und Darlehenskassen als Kredit und Warengenossenschaften und den von Schultze Delitsch gegründeten gewerblichen Vorschussvereine. Sie trugen dazu bei, dass die Geldwirtschaft auf dem Lande sowohl als auch in den Kleinstädten in geordnete Bahnen kam und dem Wucher entgegengesteuert wurde.

Wenden wir uns nun unserer Heimatstadt Nastätten zu:

Einer der profiliertesten Mitbürger jüdischen Glaubens war Gustav Oppenheimer. Er war der Sohn von Isaak Oppenheimer, der einen Viehhandel betrieb und als Geldverleiher bekannt war. G. Oppenheimer betrieb seinen Geldhandel in Verbindung mit Händlern aus Frankfurt in großem Stil. Bei seiner Goldenen Hochzeit in Nastätten waren große Ehrungen durch die Körperschaften, Vereine und die Bevölkerung erfolgt. Er überreichte Bürgermeister Fahlsing eine Spende in Höhe von 100 RM für die Armen; für die damalige Zeit (etwa 1902) eine große Summe.

Aus dieser Sippe ging ein nach England ausgewanderter Oppenheimer hervor, der vor dem 1. Weltkrieg Britischer Konsul in Frankfurt war. Dessen Sohn, als Kenner Deutscher Handelsgepflogenheiten, war maßgeblich an der Blockade im Kriege 1914-1918 beteiligt. Sie wurde auch nach dem Waffenstillstand 1918 aufrecht erhalten und forderte im Hungerwinter 1918 das Leben vieler Frauen und Kinder.

Berle Strauss, der von Schilling-Recken das heute der Passage Rathausgalerie gehörende Haus erworben hatte, war 1880 von der Strafkammer in Wiesbaden zu einem Jahr und vier Monaten Gefängnis und 3.000 RM Geldstrafe verurteilt worden. Ihm wurde Nötigung, Erpressung und Wucher zur Last gelegt.

Betrachten wir nun die einzelnen Familien, wie Wilhelm Werner sie in seiner Kindheit (1910) kannte:

In der Lohbachstrasse 1 wohnte Josef Kahn, der mit in der Rheinstrasse wohnenden Abraham Kahn einen Viehhandel betrieb. Am Rathaus hatte Julius Leopold sein Kolonial-Manufaktur und Kurzwarengeschäft. Es war von seinem Vater Berthold Leopold (genannt Bär) gegründet worden. Sein Neubau in der Brühlstrasse diente als Möbelgeschäft. Julius Leopold war jüdischer Kultusvorsteher und in den zwanziger Jahren Stadtverordnetenvorsteher.

Berle Strauss Söhne, die Nachfolger des oben genannten Berle Strauss, betrieben ein Leder- und Fahrradgeschäft. Sie belieferten die vielen Flickschuhmacher mit Sohlleder und Schäften für die Herstellung handgemachter Schuhe und Stiefel. Gustav Strauss starb 1914 an einer Krankheit im Kriegslazarett. Seine Frau betrieb das Geschäft weiter. Karl Strauss war sehbehindert.

Feist Goldschmied lebte mit seiner Schwester Sara zusammen. Die Schwester Seth war verstorben. Er hatte ein Kohlengeschäft. Bei dem Kaisermanöver 1905 belieferte er das Militär mit Heu und Stroh. Wurde jedoch, wie er meinen Eltern erzählte, von der Sippe Rothschild-Goldschmidt Frankfurt/M. unterstützt.

Salomon Stern, Herrenbekleidung, Manufaktur, Kurzwaren und früher auch Kolonialwaren (Römerstrasse 18), außerdem waren sein Sohn Karl Stern und der Schwiegersohn Herz (Hermann) Grünewald in dem Sternschen Geschäft tätig.

Herz Grünewald baute in den 20ziger Jahren die alte Judenschule (Römerstrasse 9) um und betrieb dort ein Möbelgeschäft.

Nathan Heymann betrieb mit seinem Bruder Berthold die von seinem Vater Samuel Heymann (Volksmund Schmuhl – „Schmuhls Buben“) gegründete Metzgerei weiter. Nathan war Schächter. Er vollzog die nach jüdischem Gesetz vorgeschriebene rituelle Schlachtung des Viehs, nicht nur in der eigenen Metzgerei, sondern auch bei christlichen Metzgern, damit diese ihre jüdische Kundschaft mit koscherem Fleisch beliefern konnten. Berthold Heymann war nebenbei noch als Viehhändler tätig und wohnte zuletzt in dem von ihm erworbenen Haus in der Oberstrasse. Nach seinem Wegzug erwarb dieses Haus Fritz Debus und führte dort ein Schuhgeschäft.

Gustav Mannheimer war der jüdische Lehrer. Er erteilte in der Schule den jüdischen Kindern Religionsunterricht und hielt den Sabbatgottesdienst in der Synagoge. Beerdigungen, Hochzeiten und Beschneidungen wurden jedoch von dem Rabbiner aus Bad Ems vollzogen. Neben dieser Tätigkeit betrieb Mannheimer mit seinem Schwiegersohn Siegmund Rückersberg ein Porzellangeschäft in der Römerstrasse 19.

In dem Haus der „Feiste Jeanette“ befand sich die Verkaufsstelle von minderwertigem, aber für den Menschen genießbares Vieh, genannt „Freibank“. Besonders im 1. Weltkrieg wurde dieses Fleisch unter Aufsicht verkauft und bei der minderbemittelten Bevölkerung wegen des billigen Preises beliebt. Ein Teil des Daches wurde am Laubhüttenfest aufgeklappt. Das Haus wurde nach dem Tode der Besitzerin abgerissen und von der Volksbank erworben (ursprünglich waren dort 3 zusammenhängende Judenhäuser Römerstraße 9)

Abraham Kahn, bereits erwähnt, wohnte in der Rheinstrasse neben Kaufmann Schüler. Nach seinem Tode wurde es von Schüler erworben. Sein Sohn Moritz, der vor dem 1. Weltkrieg durch allerlei lustige Streiche stadtbekannt war, heuerte auf einem Segelschiff an. Er heiratet in Südamerika, wo er auch verstarb. Der 2. Sohn Julius war Mitbesitzer der Fa. Kahn & Salomon in Köln. Den Krieg überlebte er mit seiner Familie in Frankreich. Danach kehrte er nach Brüssel zurück und war sehr vermögend. Er unterstützte manche arme Familie in Nastätten und stiftete dem Sportverein in den 20iger Jahren einen Wanderpokal.

Aaron Aronthal (im Volksmund „Aanche“ genannt) war schon sehr betagt. Er war früher auch Viehhändler und lebte bei seiner Tochter, die mit dem Viehhändler Sally Scheie verheiratet war.

Sally Scheie (Rheinstrasse 7) war Kriegsteilnehmer im 1. Weltkrieg. Nach Kriegsende setzte er seinen Viehhandel fort. Aus ungeklärten Ursachen nahm er sich in den Jahren 1930/31 das Leben.

Adolf Aronthal betrieb in der Rheinstrasse 15 mit seinem Sohn Robert Landhandel und Herde, Öfenhandel, Düngemitteln, Kohle und Briketts. Sein 2. Sohn Moritz, ebenfalls Kriegsteilnehmer im 1. Weltkrieg, verwundet, war auswärts verheiratet. Familie Robert Aronthal wanderte 1934 nach Argentinien und später nach Israel aus.

Heymann Aronthal wohnte gegenüber der Synagoge (Rheinstrasse 20). Er war Viehhändler. Seine Tochter Anna gründete 1907 im gleichen Haus ein Modegeschäft. Sie heiratete später Otto Benedick, der im gleichen Haus eine Lederhandlung betrieb und Lederwaren verkaufte. Alle diese Genannten waren fleißige, strebsame und geachtete Mitbürger.

1901 erwarb Hermann Grünewald in der Römerstrasse das Erndtmannsche Haus (Römerstraße 38). Er betrieb ein Konfektionsgeschäft (Herren- Knaben- und Damenbekleidung, Kinderkleider, Textilien ect.). Er war ein bei der Bevölkerung geachteter Mitbürger und hatte 4 Kinder. Davon war die älteste Tochter auswärts im Württembergischen verheiratet.

Ebenfalls in der Römerstrasse 24 wohnte Billa Oppenheimer, die Witwe der Gustav Oppenheimer. Sie war eine von der Bevölkerung hoch geachtete alte Dame. Nach ihrem Tode, 1916 wurde das Haus von Franz Oberländer erworben und in den Umbau des Oberländerschen Hauses einbezogen.

Um die Jahrhundertwende wurde der Mineralbrunnen im Schwall an Isidor Hennig in London verpachtet. Das Wasser wurde unter dem geschützten Namen „Sinaro“ verkauft und wurde auch als Sodawasser nach Indien geliefert. Der Name „Sinaro“ wurde von der Verlobungsanzeige „Sina Oppenheimer – Robert Hennig“ abgeleitet.

In der Abfüllhalle im Schwall waren bis Kriegsausbruch 1914 mindestens 20 Frauen und 2 Maschinisten beschäftigt. Leider wurde nach dem Kriege der Betrieb Mineralwasservertrieb nicht mehr aufgenommen. Hermann Hennig betrieb die große Landwirtschaft im Hof Schwall. Er hatte bei der Deutschen Schutztruppe in Südwestafrika Dienst geleistet. Nach 1918 wurde er zum Stadtverordneten gewählt. Er legte jedoch das Amt nieder und widmete sich seinen Ämtern in der Bauernschaft.

Nathan Nathan kam von Zorn nach Nastätten und erwarb in den 20ziger Jahren das Haus Rörig in der Rheingaustrasse 8. Er zog als Hausierer mit seinen Textilien von Ort zu Ort. Sein Schwiegersohn Stein hatte im Wohnhaus eine Polstererwerkstatt. Nathan war Kriegsteilnehmer und hatte das Eiserne Kreuz 1.Kl. und war bei der Landbevölkerung weit und breit bekannt.

Wie war nun das Zusammenleben der jüdischen Mitbürger mit der christlichen Bevölkerung?

Hierzu konnte Wilhelm Werner nur aus eigener Erfahrung sagen „reibungslos“. Die Kinder gingen gemeinsam in die Volksschule, getrennt nur im Religionsunterricht. Es waren nur wenige Kinder, daher waren eigentliche Freundschaften selten. Aber bei den Spielen in der Schule wurde nie ein jüdisches Kind abgelehnt. Später bestand Gemeinsamkeit in den Vereinen, hauptsächlich im Turn- und Sportverein.

Hermann Grünewald war Mitglied eines bürgerlichen Kegelklubs, Berthold Heimann wirkte bei den karnevalistischen Abenden des Turnvereins als Gestalter mit. Alle Vereinsfestlichkeiten wurden weitgehend durch Spenden unterstützt. In der Armenpflege waren die jüdischen Mitbürger immer zu Spenden und oft zur persönlichen Hilfe bereit, wenn es galt, Not zu lindern. Dies änderte sich auch nicht, als am 6. März 1927 Hermann Hennig, Hof Schwall eine öffentliche Versammlung in das Hotel Guntrum unter dem Thema „Das wahre Gesicht der Nationalsozialisten“ einberief. Die Redner waren Rabbiner Dr. Levi, Mainz, Dekan Sauer, Pfarrer Kochem, Nastätten und Pfarrer Pfeiffer, Diethardt. Kein Mensch, mit wenigen Ausnahmen, wusste etwas von Nationalsozialismus. Die Einberufung einer Versammlung durch einen jüdischen Mitbürger unter Mitwirkung geistlicher Herren rief die Bevölkerung der näheren Umgebung auf den Plan. Es begann eine Völkerwanderung nach Nastätten. Der Saal des Hotel Guntrum konnte die Menschen nicht fassen, sodass die Gendarmerie die Versammlung auflöste.

Gleichzeitig war aber durch Mitglieder der Partei der näheren Umgebung (es waren einzelne) in Koblenz und Wiesbaden die Partei alarmiert worden und SA-Trupps auf Lastwagen kamen in das Städtchen. Alles verlief zunächst friedlich. Da der Saal geräumt war, sprach Dr. Levi auf dem Adolfsplatz zu der Menge. SA-Männer verteilten Flugblätter und bei dieser Gelegenheit schlug der Einberufener Hennig aus dem Paterrefenster des Hotels mit einem Stock auf einen SA-Mann. Die SA versucht nun das Hotel durch den Eingang zu stürmen. Die Gendarmerie, die dies zu verhindern versuchte geriet in arge Bedrängnis als sich ein Schuß aus der Pistole eines Gendarmen, der wahrscheinlich in die Luft schießen wollte, aber durch das Gedränge behindert in die Menge schoss. Dabei wurde der 18jährige Sohn des Wegewärters Wilhelmi und seiner Frau tödlich getroffen.

Wilhelmi war wie viele andere Jugendliche als Zuschauer zu der Versammlung gekommen. Sein Tod gab der Partei die Gelegenheit ihn als Märtyrer zu stempeln. Die Erklärungen der Geistlichkeit sowie des Kultusvorstehers Leopold und ihr Bedauern zu diesem Vorkommnis wurden von der Bevölkerung mit Schweigen aufgenommen. In dem Prozess vor dem Landgericht Wiesbaden waren 19 Personen, darunter auch der Versammlungs-Einberufener Hennig angeklagt. Sieben Angeklagte und auch Hennig wurden freigesprochen. Die übrigen Angeklagten zu sechs Monaten verurteilt. Ein Nastätter Bürger, welcher zum Durchschneiden der Feuerwehrschläuche aufgerufen hatte, bekam eine Geldstrafe auferlegt. Alle Urteile wurden jedoch nicht vollstreckt. Sie wurden mit den Kosten durch die Amnestie anlässlich des 80. Geburtstages des Reichspräsidenten von Hindenburg aufgehoben.

Zunächst änderte sich in der Folge in unserem Städtchen nichts. Ein Saatkorn aber war gelegt, das aufging und für unsere Zukunft so verheerende Folgen zur Reife brachte. In verstärktem Maße setzte mit auswärtigen Rednern, darunter auch 1928 Hermann Göring, in Nastätten und Umgebung die Propaganda ein, die 1929 zur Gründung der Ortsgruppe der NSDAP führte.

Die durch den Versailler Vertrag bedingten Lasten waren in der Folge unmöglich auf die Dauer von dem deutschen Volke aufzubringen. Hinzu kamen die hohe Verschuldung und die ständig wachsende Arbeitslosigkeit, die das Anwachsen des Nationalsozialismus begünstigten. Mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.01.1933 begann jene Epoche unserer Geschichte, die letztlich 1939 zum Kriege und am 9.05.1945 zum Ende des Deutschen Reiches und der Hinterlassung einer in den Trümmern der zerstörten Städte in Not und Elend lebenden Volkes führte.

Mit dem Reichstag im März 1933 und dem Ermächtigungsgesetz, das Hitler mit allen Vollmachten ausstattete, begann am 1. April 1933 der Judenboykott im ganzen Reich. Vor den jüdischen Geschäften standen uniformierte SA-Leute mit Schildern „Kauft nicht bei den Juden“. Gewerbe, Handel und Landwirtschaft wurden gleichgeschaltet, das heißt, an die Spitze ihrer Organisationen traten Parteigenossen. Aus den Ämtern wurden Demokraten, Sozialdemokraten etc. entfernt. Viele Mitläufer nutzten die Stunde um ihre Schulden in den jüdischen Geschäften nicht zu zahlen. Die Entfernung von jüdischen Richtern aus ihren Ämtern und die Aufhebung der Zulassung von jüdischen Rechtsanwälten führten dazu, dass die Streichung dieser Schulden durch die Geschäfte die Folge war.

Bereits im Mai 1933 wanderten Erwin und Lothar Grünewald, Söhne von Hermann Grünewald sowie Kurt Grünewald (Sohn von Herz Grünewald) und der Sohn von Karl Stern nach Palästina aus. Alfred Kahn, Sohn der Witwe Kahn in der Lohbachstrasse zog zu seinem Onkel Josef Kahn nach Belgien. Auch Nelli Grünewald und die Tochter von Sigmund Rückersberg gingen ins Ausland.

Salomon Stern verkaufte sein Anwesen an Karl Jungbauer und wanderte nach Palästina aus.

Hermann Grünewald verkaufte sein Geschäft an seinen früheren Lehrling Otto Bayer und dessen Bruder August Bayer, die als Gebrüder Bayer bereits das Geschäft von Julius Leopold am Rathaus erworben und dort die Firma Gebrüder Bayer gegründet hatten.

Julius Leopold starb 1935 in Nastätten und liegt auf dem jüdischen Friedhof begraben. Seine Frau ging mit dem Sohn und dessen Familie nach USA. Das Haus in der Brühlstraße wurde soweit bekannt verpachtet und nach 1945 von Wallrabenstein erworben.

Herz Grünewald verkaufte sein Geschäftshaus Ecke Römer – Poststrasse an die Volksbank und ging mit seiner Frau nach Palästina.

Dem Metzger Nathan Heymann wurde das rituelle Schächten verboten. Die hierzu benötigten Messer musste er auf dem Rathaus abliefern.

Berthold Heymann, Oberstraße wanderte bereits im Dezember 1932 mit seiner ganzen Familie nach Amerika aus. Sein Anwesen erwarb wie bereits erwähnt der Schuhmachermeister Fritz Debus.

Lotte Strauss führte mit ihrer Mutter nach dem 1. Weltkrieg das Geschäft des „Berle Strauss Söhne“ weiter. Sie heiratete vor der Machtübernahme den Handelsvertreter Schwab, der das bestehende Geschäft mit einer Fahrschule erweiterte. Sie zogen nach 1933 mit der Familie nach Mannheim. Das Anwesen erwarb der Buchbindermeister und Buchhändler Heinrich Hanusch.

Hans Strauss, der Sohn des Gustav Strauss, ging nach Palästina und kehrte nach dem 2. Weltkrieg nach Frankfurt/Main zurück. Seine Schwester Lotte Schwab entging der Vernichtung durch ihren Aufenthalt in der Schweiz.

Der Inhaber der Firma Adolf Aronthal, Robert Aronthal wanderte mit seiner Familie nach Argentinien aus. Das Anwesen erwarben Karl Buus aus Niederwallmenach und der Mühlenbesitzer Maus aus St. Goarshausen. Sie setzten das Geschäft unter der Firmenbezeichnung Buus & Maus fort.

Die Synagoge, die 1904 unter Beteiligung der städtischen Körperschaften und unter Anteilnahme der Bevölkerung feierlich eingeweiht wurde, wurde Ende der dreißiger Jahre von der Kultusgemeinde an den Zahnarzt Gerheim verkauft. Solange eine jüdische Gemeinde bestand, ließ Gerheim die Synagoge unversehrt, damit die Gemeinde sie zur Sabbatfeier benutzten konnte. Erst nach der Kristallnacht, wahrscheinlich auf Druck parteilicher Organe wurde sie abgerissen.

Das Haus des Heymann Aronthal in der Rheinstrasse ging an Adolf Marner über, der eine Fahrschule und eine Volkswagenvertretung eröffnete

Die Diskrimierung der jüdischen Mitbürger verschärfte sich 1935 durch Erlassung der Nürnberger Gesetze (Rassengesetze). Den Juden wurden die deutsche Staatsbürgerschaft und die Bürgerschaft in der Gemeinde aberkannt. Die Ehen zwischen Juden und deutschen Staatsbürgern (Ariern) verboten. Voreheliche geschlechtliche Beziehungen zwischen Juden und Ariern wurden unter strenge Strafe gestellt. Für jeden Deutschen im öffentlichen Dienst sowie auch in der Privatwirtschaft war der Ariernachweis vorgeschrieben (das heißt: bis drei Generationen zurück durfte keine Heirat mit einem Juden gewesen sein).

Am 7.11.1938 erschoss in der Deutschen Botschaft in Paris Herschel Grynspahn den Deutschen Botschaftssekretär von Rath. Diese Tat benutzte J. Göbbels um in der Nacht vom 9./10.November die Partei zur Zerstörung jüdischer Kultstätten, Friedhöfe, Geschäfte und Warenhäuser aufzufordern. Wie in vielen Orten des Kreises drangen auch in Nastätten vermummte Gestalten in die jüdischen Häuser ein, zerschlugen Einrichtung und Schaufenster und trieben die Juden auf die Straßen. Es waren nur noch wenige Juden in Nastätten. Am Tage danach wurden auf Befehl des Hauptsturmführers der SA die noch in der Stadt wohnenden und auch Juden aus einigen anderen Orten in die Synagoge getrieben und deren Inneneinrichtung in ihrer Gegenwart zerstört. Danach erfolgte der Abtransport nach Frankfurt/Main. Der alte Lehrer Gustav Mannheimer soll schwer misshandelt worden sein.

Die Witwe Kahn mit ihrer Tochter kam nach dieser Aktion nach Frankfurt/Main. Das Haus in der Lohbachstrasse erwarb das Malergeschäft Steeg.

Der in der Rheingaustrasse lebende Nathan Nathan hatte sich am Tage der Kristallnacht von Nastätten entfernt aufgehalten. Nach seiner Rückkehr etwa eine Woche später wurde er von vermummten Schlägern überfallen und schwer misshandelt. Auch er musste Nastätten verlassen.

Seine Tochter, die Ehefrau Stein überlebte und trat nach dem Krieg als Zeugin in dem Prozess auf. Das Haus wurde verkauft und umgebaut.

Feist und Sara Goldschmidt wurden ebenfalls nach Frankfurt deportiert. Ihr Wohnhaus ist heute mit der Gastwirtschaft Bruch (Zur Sonne) vereinigt.

Nathan Heymann kam mit seiner Frau ebenfalls nach Frankfurt. Ihr Haus erwarb der Sattlermeister Jean Marner.

Der alte Lehrer Mannheimer starb an den Folgen der Misshandlungen und wurde hier auf dem jüdischen Friedhof beerdigt. Sein Schwiegersohn Rückersberg wurde mit seiner Ehefrau ebenfalls nach Frankfurt geschafft.

Ebenfalls nach Frankfurt deportiert wurde Ernst Scheye mit seiner Mutter. Ernst Scheye kam im KZ Buchenwald um. Das Haus der Scheyes in der Rheinstraße 57 wurde abgerissen.

Der Hof Schwall gehörte den Isidor Hennig Erben in London. Er wurde von Hermann Hennig in deren Auftrag verwaltet. H. Hennig hatte freiwillig in der Deutschen Schutztruppe in Südwestafrika gedient und die Kämpfe gegen die Heteros miterlebt. Er stand mit dem unbesiegten Kommandeur Letto Vorbeck in Ostafrika in brieflicher Verbindung. Und solange dieser Kommandeur Letto Vorbeck lebte, erhielt Hennig zu Weihnachten ein Geschenkpaket. Diesem Umstand und dem Einfluss der englischen Verwandtschaft verdankte es Hennig, dass man ihn von nationalsozialistischer Seite nicht belästigte. Im Frühjahr 1938 verkauften Isidor Hennig Erben durch Vermittlung von Hermann Hennig Hof Schwall mit allem landwirtschaftlichen Eigentum an Bauer Rudolf Rudolph aus der Pfalz. Hermann Hennig lebte auch nach der Kristallnacht noch eine Zeitlang im Schwall und zog dann mit einer Familie Kauenhagen, die ebenfalls dort wohnte, nach Frankfurt/Main. Auch er dürfte nach Kriegseintritt Englands, wie viele andere Deportierte, im KZ geendet haben.

Nach Ende des 2. Weltkrieges wurde von den Besatzungsmächten die Entnazifizierung zum Gesetz erhoben. Ein Prozess über die Vorkommnisse in Nastätten in der Kristallnacht fand vor dem Landgericht Koblenz statt. Hauptsturmführer Sch… der am Tage danach die SA nach Nastätten befohlen hatte, nahm vor Gericht alle Schuld auf sich und wurde zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach seiner Strafverbüßung bis zu seinem Tode arbeitete er als Schreiner.

Viele der Beteiligten SA-Angehörigen sind im 2. Weltkrieg gefallen. Andere wurden von der Besatzungsmacht ohne Urteil bis zu zwei Jahren in Diez festgesetzt. Mittlerweile mussten die Besatzungsmächte einsehen, dass der Aufbau eines demokratischen Staates nur möglich ist, wenn die wegen NSDAP-Mitgliedschaft aus ihren Ämtern entfernten Fachkräfte ihre Tätigkeit wieder aufnehmen können.

Das Deutsche Reich war seit Generationen ein Obrigkeitsstaat, der sich auch im 3. Reich nicht änderte. Der Kaiser rief und Alle kamen! „Führer befiehl, wir folgen“ Diesen Schlachtrufen folgte die Masse! Nicht durch ewige Bloßstellung der durch den letzten Schlachtruf verführten Menschen, sondern in der Stärkung dieser demokratischen Ordnung unter Voranstellung des Leitsatzes unseres Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ werden wir solche Geschehnisse verhindern können.

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