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Oktobermarktzeitung 1957 - Artikel der Titelseite

Nastätten, geschichtlicher Rückblick von Konrad Hehner. In den Jahrhunderten nach Beginn unserer Zeitrechnung gehörte Nastätten zur äußersten Grenzmark des römischen Weltreiches. Der Verlauf der Grenze des römischen Pfahlgrabens (Limes) wird durch die Punkte Saalburg - Orlen - Holzhausen (Römerkastell) - Marienfels usw. bezeichnet. Über den Ursprung des Platzes Nastätten ist nichts bekannt. Er gehörte später in alemannisch-fränkischer Zeit zum Einrichgau. Vielleicht deutet die Namensendung „stätten“ auf eine alemannische Siedlung (3. - 5. Jahrhundert). Urkundlich wird Nastätten erstmals im Jahre 893 erwähnt. Nach den Urkunden der Abtei Prüm (Eifel) besaß diese in Nastätten 28 Hufen Land mit Zinsen und Hörigen sowie zwei Mühlen als Reichsdarlehen wohl von Karl dem Großen oder einem seiner nächsten Nachfolger, Die ältesten bekannten Träger der Grafengewalt im Einrichgau waren die Grafen von Arnstein. Von diesen ging sie, mittlerweile ihrer Bedeutung als eines kaiserlichen Amtes entkleidet, auf die Isenburger Grafen, und von diesen etwa um 1150 bis 1200 auf die Grafen von Katzenelnbogen über. Im Jahre 1138 führt Abt Wolradus vom Prüm die Besitzungen auf, welche das Stift zu St. Goar als Aufbesserung erhalten hatte, darunter Besitz zu Nochern und Einkünfte aus Flachs von den Höfen zu Nastätten und Bogel. Im 13. Jahrhundert hatte die Abtei Eberbach/Rheingau von Hartbernus von Katzenelnbogen eine Mühle bei Nastätten mit 8 Malter Korn und 2 Malter Weizen als Zins erhalten. Um 1250 kam es zwischen den Grafen Diether und Eberhard von Katzenelnbogen zu einer Teilung ihrer Erblande in eine Niedergrafschaft Katzenelnbogen und eine Übergrafschaft (bei Darmstadt). Nastätten wurde eigentümlicherweise so geteilt, dass der Weg durch das Dorf zur Kirche die Grenze bildete. 1325 erhielten die Katzenelnbogener Grafen in der Niedergrafschaft vom Abt Heinrich von Prüm den Prümer Besitz zu Nastätten als Afterlehen und verwandelten dieses Lehen 1449 durch Kauf in Eigentum. Nach dem Aussterben der Grafen von Katzenelnbogen im Jahre 1479 fiel Nastätten mit der Niedergrafschaft an den Landgrafen von Hessen-Kassel, der Nastätten auch, nachdem der berühmte von 1500 bis 1557 währende Katzenelnbogische Erbfolgestreit mit Nassau-Dillenburg beendet war, behielt. Im Jahre 1474 weilte Kaiser Friedrich III., der Vater Maximilians I., der gegen Karl den Kühnen von Burgund Krieg führte, in Nastätten. Oberamtmann der Niedergrafschaft war 1551 ein Reinhard Schenk mit dem Sitz in Nastätten. Nach Beginn des dreißigjährigen Krieges wurde die Niedergrafschaft auf Veranlassung des Landgrafen Moritz von Hessen-Kassel in wehrhaften Zustand versetzt. Auch die Häuserzahl und die Zahl der waffenfähigen Männer ward aufgezeichnet. Nastätten hatte im Jahre 1626 34 Häuser und 49 waffenfähigen Männer. Im gleichen Jahre kam Nastätten mit der Niedergrafschaft durch kaiserliches Reichshofratsurteil, das gegen das widerstrebende Hessen-Kassel mit Waffengewalt durchgeführt wurde, an Hessen-Darmstadt, das auf Seiten des Kaisers stand. 1635 flohen die Bewohner von Nastätten in das feste von den Festungen Rheinfels, Katz und Reichenberg geschützte Patersberg. Auch der Pfarrer von Nastätten hatte seinen Wirkungskreis verlassen und verzapfte in Patersberg Wein, wofür er 8 Gulden Zapfsteuer bezahlte. 1636 und 1637 starben in Nastätten über 80 Personen an der Pest. Sie wurden auf einem besonderen Friedhof, dem Pest- oder Pestilenz Acker begraben. Wie anderorts nährten sich die Leute von Kräutern, Laub und Wurzeln, von gefallenem Viehe, ohne Brot und ohne Salz. Nastätten war zeitweise menschenleer. Im Ort liefen Hasen und Füchse herum, In Jahre 1648 fiel die Niedergrafschaft wieder an Hessen-Kassel, das aus diesen Gebiet eine besondere Landgrafschaft bildete, die unter den Vorbehalten der Landeshoheit, der Regalien und Kriegsbesatzung an den jüngeren Sohn des Hauses Ernst von Hessen-Rothenburg-Rheinfels übertragen wurde. Dessen Nachkommen blieben bis zum Jahre 1806 im Besitz der Niedergrafschaft. 1774 wurde auf einer Konferenz zu Nastätten das sogenannte vierherrische Gebiet (weil von vier verschiedenen Herren verwaltet) unter die Gemeinschaftsteilhaber aufgeteilt. Die an Hessen fallenden Gebiete wurden zum größten Teil dem damals neugebildeten Amt Nastätten zugeschlagen. Im Jahre 1663 richtete Landgraf Ernst von Hessen-Rothenburg-Rheinfels eine Privatpost durch die Niedergrafschaft über Nastätten ein. Sie wurde 1711 von den Fürsten Thurn und Taxis in eine hessen-kasselische Post umgewandelt. Hessen-Rheinfels ließ aber 1719 wieder Postexpeditionen in St.Goar, Nastätten und Langenschwalbach einrichten. Außerdem war Nastätten Station einer 1704 von Hessen, Nassau-Idstein und Kurpfalz gemeinsam errichteten Postverbindung Düsseldorf- Frankfurt - Darmstadt. Die Expedition der Thurn und Taxis'schen Post befand sich im Hotel zur Alten Post, die der hessischen in der Krone. 1781 reiste Kaiser Josepf II. auf seiner Fahrt nach den Niederlanden durch Nastätten, fiel in den angeschwollenen Lohbach und wurde so zu einer unvorhergesehenen Übernachtung in der Alten Post gezwungen. 1810 logierte hier Napoleons Adninistrateur Monsieur Pietsch, 1813 Bornadotte, der spätere König von Schweden und 1815 die Schwester Napoleons, verwitwete Königin Caroline von Neapel. Von 20.Novenber 1806 bis zum 1.November 1813 stand Nastätten und Umgebung unter französischer Verwaltung. Danach kam preußische Militärverwaltung bis am 17.November 1816 Nassau die Niedergrafschaft nach dem Wiener Vertrag von 1815 in Besitz nahm. Das nunmehr nassauische Amt Nastätten bestand aus dem ehemals hessen-rothenburgischen Amt Nastätten, einigen vierherrischen, nassau-usingischen und nassau-weilburgischen Orten; zusammen 35 Orte. Diese Orte waren: Nastätten, Buch, Bettendorf, Obertiefenbach, Herold, Ergeshausen, Berndroth mit Ackerbach, Ebertshausen, Oelsberg, Ruppertshofen, Bogel, Casdorf, Pissichofen, Himmighofen, Holzhausen auf der Haide, Reckenroth, Diethardt, Weidenbach, Münchenroth, Miehlen, Marienfels, Hunzel, Berg, Ehr, Rettert, Klingelbach, Catzenelnbogen, Allendorf, Endlichhofen, Oberfischbach, Niederfischbach, Mudershausen, Dörsdorf, Eisighofen und Berghausen. Vom seitherigen Amt Nastätten kam Langschied zum Amt Schwalbach, Rettershein zum Amt St. Goarshausen, Kehlbach zum Amt Braubach und Kördorf zum Amt Nassau. Seit 1816 war Nastätten Sitz eines Amtsgerichtes und einer Landoberschultheißerei, sowie eines Medizinalrates. Im Amtsbezirk Nastätten wohnten 1864 11.096 Evangelische, 1058 Katholiken, 1 Mennonit und 343 Juden. 1866 wurde das Herzogtum Nassau, weil es an Österreichs Seite stand, preußisch und Nastätten gehörte zum Kreis St. Goarshausen im Regierungsbezirk Wiesbaden der Provinz Hessen-Nassau, dies bis zum Jahre 1945. Seitdem ist Nastätten im Kreis St. Goarshausen des Regierungsbezirks Montabaur ein Teil des Landes Rheinland-Pfalz in der Deutschen Bundesrepublik. Auf dem Gebiet der Justiz herrschten wie in der Verwaltung mehrherrische Verhältnisse. Einer wollte dem anderen dreinreden. Im Jahre 1666 verurteilte das peinliche Gericht zu Nastätten einen Mann wegen Sittlichkeitsverbrechens zur Hinrichtung mit dem Schwert. Landgraf Ernst zu Rheinfels begnadigte ihn zur Abstreichung mit Ruten und Landesverweisung. Als ihm der Schultheiß Hauser von Laufenselden als bestellte Gerichtsaktuar die Begnadigung vorgelesen hatte, war er so erfreut, dass er, anfangs halber tot, wieder lebendig wurde. Man führte ihn auf dem Richtplatz dreimal im Kreise herum, strich ihn mit Ruten und beförderte ihn, als von Hessen-Kassel Einspruch gegen diese Strafe eintraf, schleunigst über die nassauische Grenze. Im Jahre 1673 wurden vom peinlichen Gericht in Hohenstein wegen Ermordung eines kaiserlichen Reiters zwei Männer zum Tode verurteilt, vom Landgrafen zu Rheinfels aber zu halbjähriger Steinbrucharbeit bei Wasser und Brot begnadigt. Auch gegen diesen Gnadenakt legte Hessen-Kassel Verwahrung ein, 1685 griff ein Mann von Holzhausen auf der Haide den Landgrafen Ernst „wegen der jetzigen gemeinen Beschwerden an seiner Reputation und Ehre mit Worten“ an. Weil ihm dafür eine Geldstrafe von 100 Gulden „aus Gnade“ auferlegt wurde, wollte ihn die hessen-kasselische Regierung am Leibe gestraft wissen. 1689 stahl ein Soldat auf der Rheinfels von dem vor den Franzosen in Sicherheit gebrachten Korn, wofür er vom Scharfrichter mit dem Strick vom Leben zum Tod gebracht worden sollte. Seine Begnadigung zu 48 Staupenschlägen löste auf gegnerischer Seite wiederum scharfen Protest aus. Zu ernsten Misshelligkeiten aber kam es, als 1709 das Gericht zu Reichenberg gegen zwei Männer die Todesstrafe wegen Räuberei verhängte, Hessen-Kassel sie mit Abschneidung Ohrs und Auspeitschung begnadigt, Hessen-Rothenburg-Rheinfels sie aber mit Landesverweisung ohne Beschinpfung bestraft wissen wollte. Damit die Oberhoheit auf alle Fälle gewahrt bleibe, ließ der hessen-kasselische Reservatenkommissar die Wache vor dem Amtshause verdoppeln was jedoch die gegnerischen Beamten nicht hinderte, den Delinquenten zur Flucht zu verhelfen. Hessen-Kassel verlangte dafür von dem Direktor und den Räten der landgräflichen Verwaltung die Zahlung einer Sühne von 100 Goldgulden oder 125 Talern in Batzen und Dreiern, den Taler zu 45 Frankfurter Albus gerechnet. Da bis zum gesetzten Termin das Geld nicht bezahlt war, legte der Reservatenkommissar dem Direktor militärische Besatzung ins Haus, bis durch dessen Frau der verlangte Betrag erlegt wurde. Kulturgeschichtlich ist bemerkenswert, dass um die Wende des Mittelalters zu Nastätten die Wiege zweier damals weit über die Grenzen der engeren Heimat berühmter Männer stand, des Johannes Gißen (geb. um 1440) und des Wilhelm Nesen (1493 bis 1524). Ersterer ist durch die Drucklegung zahlreicher älterer Handschriften, unter anderen der von dem Prümer Mönch Wandelbert im 10. Jahrhundert verfassten Lebensbeschreibung des hl. Goar, bekannt geworden. Nesen (Nesenius Nastadianus) ist einer der hervorragendsten Vertreter des Humanismus und hat sich seinen Ruf durch vorbildliche Übertragungen von Werken der antiken Literatur und durch seine Lehrtätigkeit an den Hochschulen in Löwen und Frankfurt erworben. Vor dem dreißigjährigen Krieg stand in der ganzen Niedergrafschaft die Leinen- und Tuchweberei in hoher Blüte. In Augsburger Inventurbüchern werden Tuche aus Nastätten, Langenschwalbach, Katzenelnbogen u.a. namentlich aufgeführt. Im Handelshaus Haug & Co. ist in den Jahren 1532 bis 1562 stets ein Posten Nastätter Tuch aufgeführt und unter den Nassauer Tuchsorten am besten bewertet. Auch die Lohgerberei blühte. Die Lohrerber hatten ihren Sitz an dem nach ihnen benannten Lohbach. Um das Jahr 1537 erfuhr die Tuchbereitung einen unerwarteten Aufschwung. Die kurmainzische Regierung hatte unter den Wollwebern in Lorch wiedertäuferische Bestrebungen entdeckt und die Verdächtigen ausgewiesen. Ein sehr großer Teil der Vertriebenen siedelte sich in Nastätten an und brachte eine bedeutende Steigerung. Die Nastätter Wollweberzunft musste 1540 ihre Zunftartikel erneuern lassen. Über die Nastätter Zünfte, namentlich der Gerber, Tuchbereiter, Färber und Hutmacher liegt reichhaltiges Material vor. Stark vertreten war in Nastätten auch das Schuhmacherhandwerk. Daneben gab es noch Handwerksberufe, die inzwischen längst der Industrialisierung weichen mussten, wie Knopfmacher, Strumpfweber, Nagelschmiede, Seiler, Gürtler, Töpfer, Lohgerber, Weißgerber und Hutmacher. Das Jahr 1816 ist in den Annalen Besonders verzeichnet. Es zeichnete sich durch Nässe und feucht und winterliche Kälte aus. Oft regnete es 14 Tage und 3 Wochen ohne Unterbrechung von Mitte Juni bis in den Winter. Durch Überschwemmungen an Flüssen und Bächen ging schon viel verloren. Die Ernte fiel gering aus, und was sie ertrug war von schlechter Beschaffenheit. Vornehmlich Kartoffeln, die nicht konnten, behandelt werden und im Unkraut erstickten gab es sehr wenig. Schon die Roggenernte wurde sehr verspätet, Gerste, Hafer, Erbsen wollten gar nicht zeitigen, und als sie endlich abgemacht werden mussten, Ende September Anfang Oktober, trat schon völlig Winter ein. Alles kam triefend ein. Die Gerste wuchs in der Scheune aus, man müsste die Gefache einschlagen und den mühsam gesammelten Vorrat wieder der Witterung freigeben, um Entzündungen vorzubeugen, indem aus vielen Scheunen Dampfwolken aufstiegen. Viele Kartoffeln konnten gar nicht ausgemacht werden und erfroren. Haferfluren blieben stehen und blickten noch spät durch den Schnee. Noch im Januar wurden auf dem Eigentum des H.v. Clur auf der Komelor Heide einige hundert Haferhaufen, die nicht eingefahren werden konnten, gezählt. Und dies war in Deutschland bis auf Preußen, in der Schweiz und Frankreich der Fall. Michaelis 1816 stieg schon das Korn pro Malter von 5 auf 11 bis 12 Gulden. Jedoch bis Februar 1817 ging alles leidlich. Jeder behalf sich so gut er konnte, aber nun schienen auf einmal alle Vorräte erschöpft zu sein. Das Malter Korn war schon auf 20 Gulden und alles andere nach Verhältnis gestiegen. Für unser Herzogtum würde nichts zu befürchten gewesen sein, aber alle angrenzenden Staaten hatten schon früh Sperre gelegt, wozu sich unsere Regierung nach ihren loyalen Grundsätzen und Feindin aller Handelshemmungen nicht entschließen konnte. Auf solche Weise wurden besonders von Frankreich zu Diez und Limburg große Fruchtaufkäufe bewirkt, die für den eigenen Bedarf verloren, gingen. Wer noch etwas hatte, hielt es zurück; der Wucher wurde fürchterlich. Ein Malter Spelzmehl kostete im Februar 44, Roggen 24, Hafer 6, Kartoffeln 8 Gulden und bereits schon in März 48, 28, 8 und 10 Gulden. Und so ging es weiter. Eine mittelmäßige Kuh oder Rind 77 bis 100 Gulden, und von jenen war nichts zu haben. Kinder weinten um Brot. Sonst wohlstehende Leute entblödeten sich nicht, danach zu gehen. Scharen Armer vom Westerwald, der am meisten nach seiner Lage gelitten, kamen vor die Türen und konnten kaum noch „essen“ stammeln. Schweizer und Württenberger verkauften ihre Habe denn dort war die Not noch größer, um nach Amerika auszuwandern. Schon auf dem Weg nach Holland starben viele, und dort von gewissenlosen Schuften um ihre Habe betrogen und zurückgelassen, müssten Hunderte auf verschiedenen Wegen nach Deutschland zurückgebracht werden. Es war ein Jammer. Das Angstsein der Gerisse, das Wimmern der Kinder zu hören und die wilde Verzweiflung. der Väter und Mütter zu sehen, ohne helfen zu können. Die sonst nur für das Vieh geschätzten Kräuter wurden begierig im Frühjahr gesucht und von den Menschen verschlungen. Man freute sich selbst auf das Kartoffelkraut, aber auch die Freude wurden an vielen Orten vereitelt. Durch den nassen Sommer von 1816 hatten sich Legionen von Schnecken erzeugt, die das Gemüse, welches sonst im Frühjahr auszuhelfen pflegt, ohne Schonung verzehrten. Die Kartoffeläcker standen fast entblättert da. Viele Fruchtdiebstähle wurden durch die Not erzeugt. Ja, im Amt Wehen wurden im Frühjahr 1817 gelegte Kartoffeläcker ihrer Aussaat beraubt. Zu Anfang März 1817 bildete die Regierung neue Verpflegungskommissionen (Hungerkomnissionen!). Der Handel ins Ausland wurde untersagt, die Vorräte im Lande aufgenommen und auf öffentliche Kosten wurden Aufkäufe im Ausland, in Rußland gemacht, den Müllern wurde Korn, den Bäckern Mehl geliefert und das Brot täglich von der Polizei verteilt. Das Laib Brot kostete zu Schwalbach 36 Kreuzer, und dabei hatte die Regierung, wie dero Intelligenz- und Vorordnungsblatt 1817/18 ausweist, noch bedeutenden Verlust. Wie fürsorgend man jetzt war, das Bedürfnis konnte nicht ganz gestillt werden. In Schwalbach sah man, wenn das Brot ausgeteilt wurde, tausend Hände sich darum reißen und viele Leute mit traurigem Gesicht abziehen. Da, wo der Boden schon fruchtbarer war, soll die Not nicht so groß gewesen sein. Mit welch ungeduldiger Sehnsucht man der Ernte von 1817 entgegensah, braucht wohl nicht erst beschrieben zu werden. Und Gott erhörte das Flehen vieler Millionen. Sie trat gut und früh ein. Überall schmückte man die ersten Fruchtwagen mit Blumenkränzen, der Magistrat zog ihnen entgegen. Sie wurden von den Schülern und den Geistlichen durch religiöse Lieder und Reden empfangen und an ihren Bestimmungsort geleitet. So erreichte auch diese Not ihr Ende. In nassauischer Zeit von 1816 bis 1866 nach dem Hungerjahr 1816/17 hat sich in langen Friedensjahren, unterbrochen durch einige tolle Tage im Jahre 1848 mancherlei geändert. Vor 100 Jahren erstand die heutige Bundesstraße 274 von St. Goarshausen über Nastätten nach Zollhaus. Im Zuge dieser Arbeiten überwölbte man auch den bis dahin offen durch Nastätten fließenden Lohbach und gewann dadurch ordnungsmäßige Straßen. Weitere Straßenbauten folgten. Die Feldmark Nastätten wurde umgelegt (konsolidiert), ein Feldwegenetz angelegt und der in vielen Windungen durch das Wiesental fließende Mühlbach bekam bis zur Thurnsmühle ein gerades und ausgebautes Bett. Es gab in Nastätten mancherlei zu tun, was dadurch erhellt ist, dass die Bevölkerung von Nastätten von 1816 bis 1860 stark anstieg, um danach bis etwa 1870 sich infolge Abwanderung wieder zu vermindern. Die der damals einsetzenden Industrialisierung nicht freundlich gegenüberstehende herzogliche nassauische Regierung konnte die Folgen dieser Industrialisierung, den Niedergang vieler Handwerkszweige nicht hindern. Die in preußischer Zeit nach den sogenannten Gründerjahren etwa um 1880 einsetzende allgemeine wirtschaftliche Flaute gab den Rest. Es verschwanden die Gerber, Woll- und Leineweber, Färber, Nagel- und Kupferschmiede, Hutmacher, Töpfer und andere. Weitere Handwerkszweige wurden zu Reparaturbetrieben. Auch die Landwirtschaft machte in Bezug auf den Anbau von Feldfrüchten, Wegfall des Brachlandes und die Viehhaltung Wandlungen durch. Die Folge war, dass wegen Fehlens von Beschäftigungsmöglichkeiten ein großer Teil der Bevölkerung in die Städte abwandert und der Rest verarmte. Nastätten, abgelegen von Eisenbahn und Schifffahrt, mit absterbenden Handwerksbetrieben ging den Krebsgang. Der Tagelohn für einen Steinbrucharbeiter im Winter betrug 90 Pfennige vom Hell- bis Dunkel werden. Um die Jahrhundertwende begann die verkehrsmäßige Aufschließung des Gebietes zwischen Rhein, Lahn, Aar und Wisper; durch den Bau der Nassauischen Kleinbahnen von Nastätten nach St. Goarshausen, von Nastätten nach Zollhaus und von Nastätten nach Braubach = Oberlahnstein mit der Verwaltung in Nastätten. Es gab nun Arbeit und Verdienst. Nach der seither üblichen Leitung der Stadt durch ehrenamtliche Bürgermeister wurde in kluger Erkenntnis der nunmehrigen Verhältnisse ein Berufsbürgermeister an die Spitze der Stadtverwaltung gestellt. Das Gesicht von Nastätten wandelte sich. Die erste Wasserleitung wurde gebaut, die Straßen erhielten Kanalisation, sie wurden neu gepflastert und mit Bürgersteigen versehen, es erfolgte der Ankauf der staatlichen Brühlwiesen, der Bau der Bahnhofsstraße, der Bahnhofsbrücke, der Brühlstraße und der Gartenstraße, die Errichtung des Gaswerkes, der Bau des Kreiskrankenhauses mit Lungenheilstätte und Kindererholungsheim, die Errichtung der Weberei der Paul-Spindler-Werke mit einer Reihe von Wohnbauten. Nastätten vergrößerte sich zusehends. Im Laufe der Jahre entstanden zahlreiche Wohn- und Geschäftsbauten. Die Post bezog ein neues Amtsgebäude, das Hotel Oranien öffnete seine Pforten, auf den Bremig entstand eine Wohnsiedlung, ein neues Forstamt und die neue Volksschule wurden erbaut und schöne Sportanlagen, die Turnhalle, Sportplatz und Schwimmbad geschaffen. Hinzu kam die Landwirtschaftsschule. Nastätten dem Fremdenverkehr zu erschließen, hatte Erfolg. Die Kriegs- und Nachkriegsauswirkungen vor allem des zweiten Weltkrieges brachten schwere Schäden. Zahlreiche Bombenwürfe und die Sprengung von sieben Mühlbachbrücken verursachten Menschenverluste und beschädigten zahlreiche Gebäude, darunter unsere Kirchen und das 1609 erbaute Rathaus. Ganz Nastätten wurde regelrecht durcheinandergeschüttelt. Es bedurfte und bedarf noch heute großer Anstrengungen, die Kriegsfolgen zu überwinden. Aus dem städtischen Waldbesitz entnahm die Besatzungsmacht große Mengen besten Nutzholzes, was wegen des nun ausbleibenden Ertrages den Stadtsäckel auf Jahre hinaus stark belastet. Die Unterbringung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge erforderte große Anstrengungen. Es wurde Siedlungsgelände auf dem Stiel erschlossen und bebaut, Kanalisationsanlagen erweitert, Straßen neugebaut oder ausgebaut und auf unseren Freihof entstand eine schöne Friedhofskapelle. Als weitere Bildungsstätte für Nastätten und seine Umgebung hat Nastätten nun auch eine Realschule erhalten und in deren Nähe wird zur Zeit die landwirtschaftliche Berufsschule des Kreises errichtet. An der Ecke Kirchgasse/ Hochstraße steht das neue Jugendheim der katholischen Kirchengemeinde. Die Geschäftswelt von Nastätten hat durch Neu- und Umbauten, durch Vergrößerung ihrer Lager und durch verfeinerte Sortierung in jeder Beziehung Anschluss gehalten. Und auf dem Tanzplatz in einer neugeschaffenen Grünanläge steht eine Figur (s'Pittche), die selbstzufrieden lächelnd Wasser spritzt und dabei zu denken scheint es ist doch ganz schön hier, und so schlecht geht es uns doch eigentlich auch nicht.

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